Elena Facchini als Botschafterin Bayerns in Frankreich

Schüleraustausch

„Du bist stärker als du denkst“ – das ist die erste Lektion, die ich durch mein Auslandsjahr in Frankreich gelernt habe. Das habe ich sogar wortwörtlich festgestellt, als ich am 27. August mit zwei Koffern, gefüllt mit Neugier und Aufregung, meine Reise ins Auslandsjahr nach Frankreich angetreten habe. Ein Koffer links, einer rechts, der eine Rucksack auf dem Rücken, der andere vor dem Bauch geschnallt. Die Anreise war die erste Herausforderung, die ich zu bewältigen hatte, doch zu meiner Überraschung verlief alles ohne Komplikationen. Ich manövrierte beinahe problemlos mein Gepäck durch den Bahnhof und selbst das Umsteigen fiel mir, trotz der Schwere meiner Koffer, überraschend leicht.

Elena Facchini unterwegs in Frankreich
Bildstrecke: Elena Facchini unterwegs in Frankreich

Der Tag der Abreise ist mittlerweile 4 Monate her, in wenigen Wochen erreiche ich schon die Halbzeit meines Auslandsjahres! Bei den Gedanken daran kann ich nur stauen, denn der Tag, an dem ich wie ein Packesel beladen am Pariser Bahnhof gestanden und in das neue Abenteuer gestartet bin, fühlt sich an, als wäre er gestern gewesen. Die Zeit im Auslandsjahr vergeht unglaublich schnell und ich darf so viel erleben, dass ich manchmal das Gefühl habe, ich komme gar nicht mehr mit dem Verarbeiten von all den neuen Eindrücken hinterher. Zwei besonders eindrucksvolle Erlebnisse für mich waren beispielsweise der Tag in Paris und der Ausflug an die Baie de Somme mit meiner Gastfamilie.

Anfang November haben meine Gastfamilie und ich gleich den ersten Zug nach Paris genommen, um den ganzen Vormittag im Louvre verbringen zu können. Ich war sehr beeindruckt von der enormen Dimension der Ausstellungen und dem großen Repertoire an Kunststücken. Es ist schlichtweg unmöglich, sich alles an einem Tag anzusehen, was allerdings auch nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass der Louvre das größte Museum der Welt ist. Ich habe mich deswegen sehr gefreut, dass wir dennoch an einigen bekannten Werken vorbeigekommen sind, wie zum Beispiel die griechischen Skulpturen „Nike von Samothrake“ und „Venus von Milo“. Und selbstverständlich haben wir auch der Mona Lisa einen Besuch abgestattet. Es war beinahe surreal, das berühmteste Gemälde der Welt mit eigenen Augen sehen zu können. Wobei „sehen“ vielleicht etwas übertrieben ist. Das vergleichsweise kleine Kunstwerk war hinter einer großen Menschenmenge verborgen, die sich alle bis nach vorne an die Absperrung drängten. Allerdings nicht, um den Blick von Mona Lisa auf sich wirken zu lassen, sondern eher, um das beste Foto von ihr zu schießen und anschließend, ohne den Blick noch einmal zu heben, weiterzugehen. Darüber musste ich mich schon sehr wundern ;)
Am Nachmittag besuchten wir den Eiffelturm. Meine Gastfamilie hatte mich mit einer Führung überrascht, worüber ich mich unglaublich gefreut habe. Wir sind bis zur dritten Plattform hinaufgestiegen, von der man in einer Höhe von 276 Metern einen atemberaubenden Blick über die Stadt hat. Als ich dachte, der Tag könne nicht schöner werden, überraschte mich meine Gastfamilie gleich ein zweites Mal. Tatsächlich war es immer mein Traum gewesen, irgendwann einen Crêpe vor dem Eiffelturm zu essen. Und so konnte ich mein Glück kaum glauben, als ich nicht vor, sondern auf dem Eiffelturm einen Crêpe gegessen habe...und das bei einer unglaublichen Aussicht über Paris! Es war unbestreitbar der beste Crêpe meines Lebens!

Nachdem ich durch den Tag in Paris ein bisschen französische Großstadtluft schnuppern konnte, galt es anschließend für mich, die ländliche Seite Frankreichs zu entdecken. Darum stand kurz darauf ein Ausflug an die Baie de Somme, ein Naturschutzgebiet an der Küste der Picardie in Nordfrankreich, auf dem Programm. Meine Gastfamilie und ich waren bei Ebbe dort und haben bei schönstem Wetter eine Wattwanderung gemacht. Wir haben sogar Robben gesehen! Der Ausflug war ein wunderschönes Erlebnis und hat mir eine ganz neue Facette von Frankreich offenbart.

Durch diese zwei Ausflüge habe ich nicht nur Frankreich, sondern auch meine Gastfamilie besser kennengelernt. Nicht zuletzt dadurch wurde Frankreich für mich in kürzester Zeit zu einer zweiten Heimat und meine Gastfamilie zu einer zweiten Familie. Deswegen sage ich auch nicht mehr „Gastfamilie“, wie es zu Beginn meines Auslandsjahres der Fall war, sondern „meine französische Familie“. Ich schätze mich sehr glücklich und bin überaus dankbar, dass ich nicht mehr nur eine deutsche Familie habe, sondern nun auch eine zweite Familie, eine französische, dazugewonnen habe.

In meinem Auslandsjahr fühle ich mich wie eine Brücke zwischen meinen beiden Familien, zwischen unseren beiden Ländern und unseren beiden Kulturen. Auf der einen Seite berichte ich in einem privaten Blog wöchentlich Freunden und Familie aus Deutschland von meinem Leben in Frankreich. Ich erzähle von meinen Ausflügen und Erlebnissen, von französischen Gewohnheiten, die mich überraschen sowie von Situationen in meinem Auslandsjahr, die mich herausfordern und von denen ich lerne. Auf der anderen Seite gebe ich mein Bestes, meinem Umfeld in Frankreich die deutsche, insbesondere die bayerische Kultur, näherzubringen. Ich zeige meinen französischen Freundinnen Fotos, zum Beispiel von unserer bayerischen Tracht, ich halte an der Tafel regelmäßig vor meinen Klassenkameraden kleine Vorträge, beantworte Fragen und erzähle von der deutschen Kultur. Anlässlich der Weihnachtszeit habe ich zum Beispiel von unseren Weihnachtstraditionen erzählt, vom Nikolaus und vom Krampus sowie den Sternsingern, die in Deutschland Anfang Januar von Haus zu Haus ziehen. Meine französische Familie lasse ich besonders die kulinarische Seite Deutschlands entdecken. Wir haben bereits gemeinsam die typisch deutschen Nürnberger Lebkuchen gegessen und auch Käsespätzle kamen schon auf den Tisch. Das kannten sie davor noch gar nicht. Ein Leben ohne Spätzle, -für mich unvorstellbar!

Bevor ich mein Auslandsjahr angetreten bin, wusste ich nicht, was mich erwartet und was ein Auslandsjahr wirklich ausmacht. Mittlerweile kann ich sagen: Es geht ums Entdecken, Überrascht werden und Lernen. Und das ständig! Denn nach 4 Monaten könnte man denken, dass man alles kennt, einem nichts mehr aus der Fassung bringen und nichts mehr überraschen kann,- aber nein, natürlich nicht. Und wenn ich das selbst für einen kurzen Moment denke, kommt etwas Neues um die Ecke und belehrt mich eines Besseren. Und das ist das Schöne daran...es ist ein Abenteuer! Ich freue mich, dieses Abenteuer nicht nur für mich selbst zu erleben, sondern als Botschafterin Bayerns einen kleinen Beitrag zu einer offenen und vielfältigen Gesellschaft zu leisten.

Rückblickend war die Woche vor der Abreise ins Auslandsjahr eine sehr anstrengende Zeit, in der ich alle möglichen Emotionen durchlaufen bin. Aufregung, Vorfreude, Angst, Neugierde und Panik. „Was wäre, wenn...?“-Gedanken kreisten durch meinen Kopf. Was, wenn ich mich nicht auf Französisch verständigen kann? Was, wenn ich mich in der Gastfamilie nicht wohlfühle? Was, wenn das Gepäck zu schwer für mich ist? Doch dann kam der Tag, an dem ich wie ein Packesel beladen am Pariser Bahnhof stand, die ersten Hürden waren genommen und das Abenteuer konnte beginnen.

In den vergangenen vier Monaten habe ich gelernt, dass man seine Komfortzone verlassen muss, um den nächsten Schritt zu gehen und dass gerade der Sprung ins Ungewisse den Beginn von Wachstum markiert. Unsicherheit und Zweifel gehören bei einer großen Veränderung dazu, bedeuten aber nicht gleich Schwäche. Du bist stärker als du denkst, und oft sind es diese Momente, in denen du erkennst, wie viel du wirklich bewältigen kannst.